Mehr Stoffe schneller testen – Potenziale für eine bessere Chemikalienregulierung
Parlamentarischen Abend in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft zum Thema Chemikalienregulierung
Impressionen vom parlamentarischen Abend „Mehr Stoffe schneller testen – Potenziale für eine bessere Chemikalienregulierung“. Oben links: Gruppenfoto der Gäste. Oben rechts: Schirmherr Harald Ebner, MdB, begrüßt die Gäste. Mitte links: Diskussion zwischen Michael Reisner, Dr. Pia-Johanna Schweizer, Vanessa Srebny und Harald Ebner, MdB (v.l.). Mitte rechts: Prof. Dr. Beate Escher zeigt während ihres Vortrages eine Mikrotiterplatte. In deren Kompartimenten werden Zellen Chemikalien ausgesetzt, um die Toxizität der zugeführten Stoffe zu evaluieren. Unten links: Prof. Dr. Sina Leipold setzt in ihrem Vortrag einen Kompass als Metapher ein, um zu zeigen, wie New Approach Methodologies (NAMs) wegweisend für eine sicherere Chemikailenpolitk sein könnten. Unten rechts: Mit großem Interesse begutachten die Anwesenden die Mikrotiterplatte von Prof. Escher. © Frank Woelffing/Helmholtz SynCom
Am 7. November 2024 lud Helmholtz SynCom zu einem Parlamentarischen Abend unter der Schirmherrschaft von Harald Ebner, MdB, in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft ein. An diesem Abend wurde unter anderem die dringende Notwendigkeit einer schnelleren und effizienteren Chemikalienregulierung in Deutschland und Europa thematisiert.
Trotz des politischen Bruchs der Regierungskoalition am Tag zuvor entschied man sich bewusst, die Veranstaltung nicht abzusagen. Schirmherr Harald Ebner und Veranstalterin Helmholtz SynCom waren sich einig: Gerade in Krisenzeiten müssen wir im Gespräch bleiben und weiter an Lösungen und Innovationen für den Ausgleich zwischen Ökologie und Ökonomie arbeiten. Diese Entscheidung wurde durch die engagierte Diskussion zwischen Abgeordneten und Mitarbeitenden aus dem Bundestag, Wissenschaftler:innen, Behördenvertreter:innen, Industrievertreter:innen und NGOs bestätigt.
Nach der Begrüßung durch den Schirmherrn, startete der Abend mit drei Vorträgen der Helmholtz Forschenden Dr. Pia-Johanna Schweizer, Prof. Dr. Beate Escher und Prof. Dr. Sina Leipold. Als gemeinsame zentrale Botschaft des Abends gilt, dass die derzeitigen Chemikalienbewertungsverfahren nicht in der Lage seien, mit der ansteigenden Dynamik und Komplexität neuer Substanzen Schritt zu halten. Neue methodische Ansätze, sogenannte New Approach Methodologies (NAMs) bzw. in vitroAssays, wurden als Schlüssel genannt, um gefährliche Chemikalien schneller und effizienter zu identifizieren.
Die Vortragsreihe des Abends eröffnete Dr. Pia-Johanna Schweizer vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit - Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS) mit einer Einführung in die Problematik von Umweltchemikalien. Zudem stellte sie die Ergebnisse des ModHaz-Projekts vor und erläuterte, wie in einem ko-kreativen Prozess Interessen von Industrie, NGOs, Wissenschaft und Behörden zusammengebracht wurden, um praktikable Lösungen für die Chemikalienbewertung herauszuarbeiten. Schweizer betonte, dass insbesondere der Dialog zwischen den verschiedenen Akteursgruppen dazu beitrage, Hemmnisse in der Chemikalienregulierung zu überwinden und den Weg für innovative Ansätze wie NAMs zu ebnen.
Anschließend stellte Prof. Dr. Beate Escher vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) die Notwendigkeit moderner, effizienter Bewertungsmethoden für Chemikalien angesichts der steigenden Komplexität und Menge an Substanzen heraus. Sie zeigte auf, wie ein breiterer Einsatz neuer methodischer Ansätze (NAMs), Tierversuche durch schnellere und ressourcenschonendere Alternativen ersetzen könnten, um damit eine wichtige Lücke in der bestehenden Chemikalienregulierung zu schließen. Einen besonderen Schwerpunkt setzte sie auf die Konzepte der „kumulativen Toxizitätsäquivalente“ (CTE) und „persistenten Toxizitätsäquivalente“ (PTE). Die Kombination dieser beiden Konzepte ermöglicht die Bewertung von chemischen Persistenz- und Toxizitätsmerkmalen und ist auf Einzelstoffe, Gemische und schwer analysierbare Stoffe anwendbar. Escher zeigte, wie NAMs helfen können, „bedauernswerte Substitutionen“ zu vermeiden, bei denen eine schädliche Substanz durch eine andere potenziell gefährliche ersetzt wird. Besonders anschaulich illustrierte sie dies am Beispiel der Bewertung von PFAS und Bisphenol-A Alternativen. Sie wies darauf hin, dass die regulatorische Akzeptanz von NAMs oft durch begrenzte Ressourcen und konservative Strukturen in Behörden verzögert wird. Ein Punkt, der von den Teilnehmenden in der späteren Diskussion aufgegriffen wurde.
Prof. Dr. Sina Leipold vom UFZ diskutierte, wie Deutschland eine führende Rolle in der europäischen Chemikalienregulierung übernehmen und NAMs etablieren könnte. Dazu betonte sie die bedeutende wirtschaftliche und politische Position des deutschen Chemie-Sektors in Europa. Deutschland könnte sich verstärkt in Expertengruppen auf EU-Ebene (beispielsweise CARACAL) einbringen, um die REACH-Verordnung zu modernisieren und NAMs verbindlich zu integrieren. Würden mehr NAMs schneller in die REACH-Verordnung eingebracht, könnte dies zur Verringerung der Risiken durch gefährliche Chemikalien und insbesondere deren Mischungseffekten beitragen. Sie sprach darüber hinaus über die Chancen und Risiken zweier strategischer Ansätze, die sich im Rahmen der Stakeholder-Workshops des Projekts herausgestellt haben. Durch „Chemical Simplification“, also die Verringerung der Anzahl und Vielfalt von in Produkten verwendeten Stoffen, können Schadstoffe reduziert werden. Am anderen Ende des Spektrums steht die gezielte Förderung des Erhalts und Ausbaus vielfältiger chemischer Verbindungen, um die deutsche und europäische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, sowie eine materielle Grundlage für nachhaltige Technologieinnovationen zu schaffen. Besonders hervorzuheben sind die Notwendigkeit, Mischungswirkungen in der Regulierung stärker zu berücksichtigen und dass die Wissenschaft bereits Erkenntnisse und Methoden für eine sicherere Chemikalienregulierung bereitstellen kann.
In der anschließenden Diskussion wurden zentrale Aspekte vertieft:
- Wirkungsweise von NAMs: Wie untersucht man die spezifischen Wirkungsmechanismen? Welche Unterschiede ergeben sich zwischen verschiedenen Stoffen?
- Ansatzpunkte der Einführung von NAMs: Wo positionieren sich NAMs im Verhältnis zu Classification, Labeling and Packaging? Sollen neue Labels und Grenzwerte eingeführt werden oder sollen NAMs als Vortests zur Bestimmung des weiteren Ablaufs der Bewertung genutzt werden?
- Validierung von NAMs/Regulatorische Trägheit: Welche Schritte sind notwendig, um NAMs schneller regulatorisch anerkennen zu lassen?
- Umsetzung in der Industrie: Wie können Unternehmen dabei unterstützt werden, NAMs in ihre Prozesse zu integrieren, ohne Wettbewerbsnachteile zu riskieren?
Die Evaluation der Veranstaltung zeigte, dass die Teilnehmenden den Abend insgesamt als bereichernd empfanden. Besonders hervorgehoben wurden die interessanten Inputs der Wissenschaftlerinnen, die Diskussion, sowie die Beteiligung von Wissenschaft, Industrie, Behörden und Politik. Gleichzeitig gab es Anregungen zur Konkretisierung der Forderungen – auch zugeschnitten auf Entscheidungsträger:innen auf EU-Ebene.
Der Abend endete mit informellen Gesprächen, die den Austausch zwischen Wissenschaft, Politik und Industrie weiter vertieften. Die Veranstaltung verdeutlichte eindrucksvoll, dass der Dialog über disziplinäre und institutionelle Grenzen hinweg essenziell ist, um drängende Herausforderungen wie die Chemikalienregulierung nachhaltig zu bewältigen.