Wissenschaft im Parlament: Wie Wissenschaftler:innen politische Debatten unterstützen

SynCom als Mitveranstalter eines World Cafés beim Forum Wissenschaftskommunikation 2024, Urania, Berlin

© Winkler/Heidenreich/Sielemann

Beim Forum Wissenschaftskommunikation 2024 in der Urania Berlin kamen 42 Teilnehmende aus der gesamten Breite der deutschen Wissenschaftskommunikation zusammen, um in einer World-Café-Session das Thema „Wissenschaft im Parlament: Wie Wissenschaftler:innen politische Debatten unterstützen“ zu diskutieren. Die Veranstaltung griff das Schwerpunktthema „Wissenschaftskommunikation für eine starke Demokratie und offene Gesellschaft“ des diesjährigen Forums auf. 

Veranstalter des World Cafés waren Paulina Conrad von der Deutschen Allianz Meeresforschung, Meike Lohkamp, Science-Policy-Fellow am Research Institute für Sustainability RIFS, Hai Ha Tran von der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie Katharina Sielemann und Marie Heidenreich von Helmholtz SynCom (s. untenstehende Liste für teilnehmende Institutionen).

Impuls: Von Evidenz zu Entscheidung

Marie Heidenreichs Impuls machte deutlich, dass Wissenschaft und Politik trotz ihrer unterschiedlichen Arbeitslogiken aufeinander angewiesen sind, um komplexe globale Herausforderungen wie die Klimakrise anzugehen und eine wirksame Umweltpolitik umzusetzen. Viele der bestehenden Systeme für wissenschaftsbasierte Politikberatung sind jedoch lückenhaft oder werden nicht ausreichend systematisch genutzt. Heidenreichs Beobachtungen aus parlamentarischen Formaten nach folgen die Systeme Politik und Wissenschaft unterschiedlichen Logiken: Politiker:innen wünschen sich häufig und insbesondere während akuten Krisen klare, kurzfristig umsetzbare Handlungsempfehlungen, während Forschende eher verschiedene Handlungsoptionen skizzieren, Unsicherheiten transparent machen und sich ihrer wissenschaftlichen Grenzen bewusst bleiben.

Der enge Austausch zwischen Politik und Wissenschaft kann dabei helfen, frühzeitig den konkreten Informationsbedarf der Politik zu klären, transdisziplinär organisierte Forschungsteams zu bilden, wissenschaftliche Erkenntnisse in klare, zielgruppenorientierte Kernbotschaften zu überführen und zielgerichtete Dialogveranstaltungen anzubieten. Die Zusammenarbeit mehrerer Forschungseinrichtungen stärkt die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit und erleichtert den Transfer von Forschungsergebnissen in konkrete politische Entscheidungen erleichtern.

Wird dieses Zusammenspiel gut umgesetzt, kann Wissenschaft nicht nur politisch relevante Optionen aufzeigen, sondern auch evidenzbasierte Impulse für langfristige Umwelt- und Klimaschutzstrategien liefern. So entsteht ein kontinuierlicher, vertrauensvoller Austausch, in dem beide Seiten die nötigen Informationen erhalten, um gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln.

Die Teilnehmenden diskutierten die vorgegebenen Fragen rund um Science-Policy-Dialoge an vier Thementischen. Nach jeweils rund zwölf Minuten Gesprächszeit wechselten die Teilnehmenden zum nächsten Tisch; am Ende wurden alle Ergebnisse zusammengefasst.

Thementisch A: Welche Science-Policy-Formate können die politische Debatte wirksam unterstützen und ergänzen?

Host: Meike Lohkamp, RIFS

Die Diskussionsteilnehmenden erörterten eine Vielzahl an Formaten, mit denen die Wissenschaft ihre Expertise in politische Prozesse einbringen kann. Zu den erwähnten Formaten gehörten Anhörungen im Parlament, parlamentarische Frühstücke und Abende im Bundestag und in Landtagen, Runde Tische, 1:1-Gespräche, Besuche von Forschungseinrichtungen und entsprechende Führungen für Abgeordnete, Konferenzen mit integrierten Politik-Sessions sowie Policy Briefs und One Pager. Ergänzend wurden Veranstaltungen speziell für Büroleiter:innen und Mitarbeitende, Newsletter für politische Akteur:innen und kooperative Ansätze zwischen Stadtverwaltungen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft (etwa bei Festivals) genannt.

Die Teilnehmenden betonten, dass Ziele und Zielgruppen über die Auswahl des passenden Formats entscheiden. Persönlichere Treffen wie 1:1-Gespräche und Runde Tische eignen sich für einen vertieften Fachaustausch, während größere Veranstaltungen oft mehr Personen erreichen und Netzwerkbildung fördern. Ebenfalls hervorgehoben wurde die Bedeutung einer Nachbereitung, damit Kontakte weiter gepflegt werden und die Diskussion nicht nach einer einmaligen Veranstaltung verpufft.

Anlässlich der Session veröffentlichte Meike Lohkamp den neuen Leitfaden „Parlamentarische Veranstaltungen – Ein Leitfaden für Wissenschaftsorganisationen und Kommunikator:innen“, den sie als Science-Policy-Fellow des Research Institute for Sustainability RIFS verfasst hat:

https://publications.rifs-potsdam.de/rest/items/item_6003769_2/component/file_6003856/content

Der Leitfaden liefert praxisnahe Hinweise zu Formatauswahl, rechtlichen Rahmenbedingungen, Einladungsmanagement und Evaluationsmethoden. Mehrere Teilnehmende lobten insbesondere die strukturierten Tipps zu Schirmherrschaften, terminlichen Abstimmungen und Feedback-Mechanismen.

Thementisch B: Wie wird die wissenschaftliche Qualität des Science-Policy-Dialogs sichergestellt und wie können wir Wissenschaftler:innen auf den Dialog mit der Politik vorbereiten?

Host: Paulina Conrad, DAM

An diesem Thementisch stand im Fokus, dass Wissenschaftler:innen häufig unterschiedliche Erwartungen erfüllen müssen, wenn sie sich in den politischen Diskurs einbringen. Mehrere Teilnehmende betonten, dass es nicht nur „die Politik“ gibt, sondern dass politische Akteur:innen auf diversen Ebenen – von lokaler bis internationaler Politik – unterschiedlich agieren. Zu berücksichtigen ist auch, dass Ministerien und Verwaltungen von Hierarchien und Zuständigkeiten geprägt sind und Funktionen teils parteipolitisch beeinflusst sein können, während z.B. die Referentenebene eine wichtige Plattform für den fachlichen Austausch bieten kann. Genau hier setzt zielgruppengerechte Kommunikation an: Forschende sollten Rollen, Motivationen und Entscheidungsprozesse ihrer Adressat:innen kennen, um komplexe Inhalte prägnant zu vermitteln.

Die Darstellung von Handlungsoptionen stellte sich als Spannungsfeld heraus: Einerseits wünschen sich viele Abgeordnete konkrete, umsetzungsorientierte Optionen, andererseits legen Forschende Wert darauf, Unsicherheiten transparent zu machen und nicht voreilig Empfehlungen auszusprechen. In Workshops für Early Career Researchers, Kommunikationstrainings und mithilfe professioneller Vermittler:innen (Science-Policy-Broker) könnten Forschende lernen, diesen Balanceakt zu meistern.

Ein weiterer Punkt war die Reflexion der eigenen Rolle: Transparenz, wann man als Wissenschaftler:in spricht und wann als Privatperson, schafft Glaubwürdigkeit. Abschließend herrschte Einigkeit, dass ein rekursiver Transfer entstehen kann, wenn neue Impulse und Bedarfe aus der Politik zurück in die Forschung fließen und die wissenschaftliche Agenda mitprägen.

Thementisch C: Wie können wir die Wirksamkeit von Science-Policy-Dialogen evaluieren?

Host: Katharina Sielemann, Helmholtz SynCom

Die Teilnehmenden waren sich einig, dass die Evaluation frühzeitig in die Planung solcher Dialoge integriert werden sollte. Dabei gilt es, realistische Ziele zu definieren: Wissenschaftliche Interventionen münden eher in Agenda Setting oder Abwägung als in eine unmittelbare Gesetzesänderung. Nicht antizipierte Wirkungen – wie spontane Folgeaktivitäten oder zusätzliche Fachgespräche – sind ebenso relevant wie die Resonanz vor Ort und die Stimmung während der Veranstaltung.

Darüber hinaus sprachen die Teilnehmenden über mögliche Methoden, die von qualitativen Nachbefragungen und systematischer Beobachtung (z. B. Erwähnung in Ausschussdebatten) bis hin zu quantitativen Indikatoren wie Teilnehmerzahlen oder Social-Media-Reichweiten reichen. Als Herausforderungsfaktor wurde mehrfach Vertraulichkeit genannt: Vor allem in bilateralen Gesprächen ist der Einfluss auf politische Positionen kaum öffentlich sichtbar. Trotz dieser Hürden kann ein gutes Evaluationsdesign wertvolle Rückschlüsse auf die Wirksamkeit und mögliche Verbesserungspotenziale liefern.

Thementisch D: Wie erreichen wir politische Akteur:innen (z. B. Ministerien vs. MdBs)?

Host: Hai Ha Tran, DFG

Die Teilnehmenden beobachteten, dass unterschiedliche Institutionen und Ebenen (Ministerien, Landtage, Bundestag, kommunale Behörden) unterschiedliche Herangehensweisen erfordern. Ministerien befassen sich häufig langfristig mit fachlichen Themen und schätzen detailtiefe Informationen. Abgeordnete brauchen hingegen oft rasch verwertbare Inputs und kurze, prägnante Kernbotschaften. Wahlkreisspezifische Ansätze oder Kooperationen vor Ort können den Zugang zusätzlich erleichtern.

Das Thema Netzwerkaufbau wurde als Schlüsselfaktor für einen erfolgreichen Dialog hervorgehoben: Bereits bestehende Kontakte, zum Beispiel über Fellows, Gremienmitgliedschaften oder Schirmherrschaften, tragen wesentlich dazu bei, dass Einladungen überhaupt wahrgenommen werden. Zugleich sahen die Diskutierenden Veranstaltungen in der Nähe von Parlamentsstandorten und in terminlich günstigen Zeitfenstern als Förderfaktoren für eine höhere Teilnahmequote.

Als Teil einer Public-Affairs- und Science-Policy-Strategie bewerteten die Teilnehmenden die Profilbildung von Forschenden als öffentlich wahrnehmbare Persönlichkeiten als besonders lohnend. Über Social-Media-Kanäle wie LinkedIn können beispielsweise Präsident:innen wissenschaftlicher Organisationen direkt zu Gesetzesinitiativen Stellung nehmen und mit Politiker:innen in Austausch treten. So lassen sich wissenschaftsbasierte Argumente ungefiltert in die Entscheidungsprozesse einspeisen und das Interesse an fachlicher Expertise gezielt steigern.

Fazit und Ausblick

In der Abschlussrunde zeigten sich die Teilnehmenden beeindruckt vom intensiven fachlichen Austausch, der in nur 90 Minuten stattfand. Dabei wurde deutlich, dass zielgruppenspezifische Formate, sorgfältige Vorbereitung sowie konsequentes Follow-up entscheidend für den Erfolg von Science-Policy-Dialogen sind. Ein wiederkehrendes Stichwort war der Wunsch nach dauerhaftem Austausch unter Wissenschaftsmanager:innen, die den Science-Policy-Dialog in Deutschland vorantreiben – etwa in einem Netzwerk oder Forum, in dem Erfahrungen geteilt, neue Ideen erprobt und gemeinsame Strategien entwickelt werden könnten.

Die Session endete mit einem gemeinsamen Resümee: Wissenschaft kann politische Prozesse durch fundierte Expertise bereichern, vorausgesetzt, Politik und Wissenschaft tauschen sich frühzeitig und dauerhaft aus, die Formate sind gut durchdacht und es findet eine aktive Nachbereitung einzelner Veranstaltungen statt. Auf diese Weise kann ein effektiver Dialog zwischen Wissenschaft und Politik gelingen – ganz im Sinne des Forum-Oberthemas „Wissenschaftskommunikation für eine starke Demokratie und offene Gesellschaft“.

Vertretene Institutionen

  • acatech/Energiesysteme der Zukunft (ESYS)
  • Alfred Toepfer Stiftung F.V.S.
  • Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie
  • ConflictA, Universität Bielefeld
  • Deutsches Primatenzentrum (DPZ)
  • DLR Projektträger
  • DLR-PT Kompetenzzentrum Wissenschaftskommunikation
  • DUZ Verlags- und Medienhaus GmbH
  • Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt am SOCIUM
  • Forscherstation gGmbH
  • GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
  • Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V.
  • Hanse-Wissenschaftskolleg - Institute for Advanced Study (HWK)
  • Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
  • Helmholtz Klima
  • Hochschule Mittweida
  • iDiv – Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung
  • Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH)
  • Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU)
  • Klaus Tschira Stiftung gGmbH
  • Leibniz-Gemeinschaft
  • Leopoldina
  • Max-Planck-Gesellschaft
  • Museum für Naturkunde Berlin
  • Nationales Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) gGmbH
  • ProLOEWE
  • RIFS Potsdam - Research Institute for Sustainability
  • RHET AI Center, Universität Tübingen
  • Rhein-Main-Universitäten
  • sDiv – das Synthesezentrum am iDiv
  • Stifterverband
  • SynCom Helmholtz Erde und Umwelt
  • Technische Universität Dresden
  • Universität Duisburg-Essen
  • Universität Kassel
  • Universität Konstanz, EXC The Politics of Inequality
  • Universität Münster
  • VolkswagenStiftung
  • Weizenbaum-Institut
  • Wissenschaft im Dialog gGmbH
  • Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
  • WissensWorte
  • Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (MARUM)
  • Zeitverlag

World Café: „Wissenschaft im Parlament: Wie Wissenschaftler:innen politische Debatten unterstützen.“ - Bericht

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